Cromedia macht Schule: Willkommen zu unserem 35. Unterrichtspost „Wie werde ich ein echter Kroate?“. Diesmal unser Thema: der Kroate und die (Selbst-)Kritik.
Die Kritik und die Selbstkritik spielen sich im Kroatischen zwischen zwei Worten ab:
• kukati (jammern)
und
• svadjati se (gespr. Svadschatisse, sich streiten)
Die Kroaten tun beides oft – und mit Inbrunst. Nie werde ich mein erstes langes „Gespräch unter Frauen“ mit einer Kroatin vergessen: Ivana saß mit mir in Crkvenica (Kvarner Bucht) im Garten, der fast komplett eingenebelt war vom Lamm, das ihr Mann Izvonimir gerade im Grillhaus zubereitete. Es war viele Jahre vor dem EU-Beitritt, und ich fragte Ivana, ob sie es eigentlich gut fände, wenn Kroatien zur EU gehören würde. Die Antwort: „Ne!“ (Nein!).
Und dann fing Ivana an zu jammern – ona je kukala, sie hat gejammert. Über die völlig unfähigen kroatischen Politiker, die ebenso unfähigen Kroaten an sich, die alle nur in Deutschland arbeiten wollen, natürlich, weil man in Kroatien keinen anständig bezahlten Job findet, aber das liegt nur an …
* der Politik
* der Wirtschaft
* der Korruption
* der Inkompetenz etcetcetc
Ich hörte erschrocken zu (zu Wort wäre ich eh nicht gekommen), und als Ivana genug gekukalat hatte, sagte ich dann: „Aber du hast mehr als ich.“
Ivana stutzte – „was mehr?“ Ich sagte: „Du hast ein Haus, fast jeder Kroate, den ich kenne, hat ein Haus oder wenigstens eine Wohnung, die ihm gehört. In Deutschland wohnen die meisten zur Miete.“
Ivana schaute mich groß an – und sagte: „Ja, aber schau dir unser Auto an, uralt!“ Darauf ich: „Aber es fährt doch!“ Darauf sie: „Ha! Noch!“
Ich sagte, „okay, das mit den inkompetenten Politikern ist natürlich blöd – aber ihr habt sie gewählt.“ Darauf Ivana: „Ich nicht! Ich geh gar nicht wählen, sind eh alle gleich! Diese Dummheit – to nema nigdje na svijetu!“ (Das gibt‘s nirgendwo sonst auf der Welt). Ich: „Aber der Soundso macht doch einen vernünftigen Eindruck…“
Und dann begann die Phase des Streits, mi smo se svadjali – wir haben uns gestritten. Bis Ivana mir so viele Namen von Politikern an den Kopf knallte, die ich noch nie gehört habe, dass ich aufgab – und erschöpft sagte: „Zumindest ist es bei euch schön, diese herrlichen Naturbuchten…“ – Ivana: „Da, to nema nigdje na svijetu!“ (Ja, das gibt‘s nirgendwo sonst auf der Welt!“). Ich wandte vorsichtig ein, dass übrigens auch in Irland schöne Naturstrände zu finden sind – woraufhin Ivana (die noch nie in Irland war) sagte: „Ja, aber nicht so schön wie hier.“
Was lernte ich daraus?
1. Kroaten jammern gern und lange.
2. Kroaten können stundenlang über Politik streiten.
3. Kroaten sehen Kroatien sehr kritisch.
4. Kroaten orientieren sich stets nach oben – vergleichen sich mit Ländern, in denen es wirtschaftlich besser läuft (was immer einen prima Anlass zum Jammern gibt ). 5. … aber eines ist und bleibt für sie klar: Das schönste aller Länder auf der Welt ist und bleibt Kroatien!
Übrigens: 88,5 Prozent aller Kroaten besitzen Wohneigentum.
Und Ivana streitet mit mir noch immer – ich habe inzwischen begriffen, dass das ein Freundschaftsbeweis ist ….
(Foto: Pixabay)