Cromedia macht Schule: Willkommen zu unserem 50. Unterrichtspost “Wie werde ich ein echter Kroate?” – diesmal werden wir politisch. Genauer: europapolitisch. Und schon kriegt der typische Kroate schlechte Laune …
Wenn nicht die Deutschen die Politikverdrossenheit erfunden hätten, dann hätte es wohl der Kroate getan. Denn es gibt kein Thema, das so konsequent negativ betrachtet wird in Hrvatska wie eben die Politik. Es ist diese “Die da oben/wir da unten”-Stimmung, in die Kroaten geraten, wenn sie über Politik reden – und zwar egal, ob es sich um wirklich bemitleidenswerte Kroaten oder sehr gut Verdienende handelt. “Ne valja” ist die Antwort, wenn man über eine(n) Politiker(in) spricht, eine Partei, ein Parteiprogramm: “nicht gut” auf deutsch.
“Gut” geht nicht zusammen mit Politik. Jedenfalls für die allermeisten Kroaten. Völlig egal ist dabei, welche Partei in der Heimat gerade an der Regierung ist. Die drei wichtigsten:
HDZ – H-rvatska D-emokratska Z-ajednica, quasi die kroatische CDU
SDP – Socijaldemokratska Partija Hrvatska – auf deutsch: SPD
HNS – H-rvatska N-arodna S-tranka – Liberalni Demokrati – die kroatische FDP
Derzeit ist in Kroatien die HDZ an der Macht – und selbstverständlich ist sie “nicht gut”. Allerdings gilt hier stets: Der Kroate ist der schärfste, aber seiner Meinung auch einzig berechtigte Kritiker der eigenen Politik – wenn ein “stranac” (gespr. stranatz, deutsch: Ausländer) sich in die politische Gemengelage Kroatiens einmischt, dann wird der kroatische Kritiker ihn kritisch betrachten.
Ausnahme: die EU. Die Europäische Union. Die Europapolitik. Da wird der “stranac” seit dem 9. Dezember 2011 – Kroatiens EU-Beitritt – geradezu überschüttet mit Fragen, oder besser: Klagen.
Anfang November in Split. Man sitzt so zusammen, redet über die Lage in Kroatien … und plötzlich springt das Gegenüber, seines Zeichens Führungskraft in einem großen und solventen Unternehmen Kroatiens, vor Wut fast vom Stuhl. “Ne valja ovdje nista!” brüllt er auf, etwas freier ins Deutsche übersetzt: “Hier klappt überhaupt nichts!” Dann folgt eine Schimpfkanonade auf die HDZ, alsdann ein knackiger Monolog über Kroatien seit dem EU-Beitritt: “Jeden Tag verlassen 42 Kroaten ihr Land! Jeden Tag! Und die meisten gehen nach Deutschland! Nicht mehr lange, und es gibt in Kroatien keine Kroaten mehr – nur noch Touristen!” WUMM!
Der äußerst erregte kroatische Chefsesselinhaber setzt sich wieder, oder besser: fällt missmutigst auf dem Stuhl zusammen.
Dann hebt er nochmal an – energisch: “Und was macht die EU? Nichts! Die EU muss uns mehr zahlen! Die EU muss dafür sorgen, dass sich die Strukturen hier verändern!”
Genau. Das, und nur das, ist die vornehme Aufgabe der EU: Die Welt – sofern sie europäisch ist- retten. Und zwar zuerst die kroatische Welt. Und am besten nicht morgen, sondern schon gestern. Achtung: Ironie …
Nun sieht es aber in der Tat seit Kroatiens EU-Beitritt, objektiv europäisch betrachtet, nicht gut aus:
- Nach Angaben der Vereinten Nationen (Stand 2017) verlässt jeder fünfte Kroate das Land – es leben mehr Kroaten im Ausland als in Kroatien
- In Deutschland lebten Ende 2017 367.900 Kroaten – die meisten bleiben 20 Jahre oder mehr in Deutschland
- In Kroatien liegt die Arbeitslosenquote bei über 20 Prozent
Der letzte Punkt erklärt die beiden ersten. Die Kroaten, die weggehen aus ihrer Heimat, gehen, um einen halbwegs gut bezahlten Job zu finden. Weil Kroatien für sie in diesem Punkt “ne valja”. Was wiederum an politischen wie wirtschaftlichen Strukturen liegt, die die deutsche Zeitung “Handelsblatt” nach dem EU-Beitritt Kroatiens präzise auflistete: Unter der Überschrift “Fröhlich, aber arm” betrachtete die Zeitung das 28. EU-Mitglied und stellte fest, es handele sich um eine “festgefahrene und wenig flexible Volkswirtschaft, immer noch geprägt aus sozialistischen Zeiten” (Link zum Artikel: https://www.handelsblatt.com/politik/international/kroatien-ist-28-eu-mitglied-besser-als-bulgarien-und-rumaenien/8428792-2.html).
Und wer ist schuld – also: wer ist schuld seit dem 9.12.2011? Die EU? “Ajde ..”, sagt ein anderer Dalmatiner, ohne Chefsessel, darauf – frei übersetzt: “Hör schon auf …”. Und er ergänzt: Das stimme schon, mit der sozialistischen Prägung. “Die Kroaten”, sagt der Kroate, “kämpfen einer gegen den anderen, überall herrscht Korruption, man trickst sich durchs Leben. Und während man sich genau darüber beschwert, wenn man es bei anderen sieht, bleibt man dennoch seiner Partei treu – kaum einer, der vorher HDZ gewählt hat, würde später SDP wählen, da sind die Kroaten von religiöser Treue.” Und dann fügt er, nicht wütend, sondern lächelnd, hinzu: “Die einzigen, die Kroatien ändern können, sind die Kroaten. Aber sie tun’s nicht. Sie haben nicht gelernt, dass sie es tun können. Sie beklagen sich, zucken mit den Achseln und sagen dann zu ihrer und der Landessituation: “Smrdi, ali je toplo” – übersetzt: “Es stinkt, aber es ist warm.”
Wer hat nun Recht? Der auf die EU wütende Chef? Oder der süffisant lächelnde Nicht-Chef? Beide sind echte Kroaten. Was eigentlich nur eines bedeuten kann: Sie haben BEIDE recht – irgendwie …
(Foto: Pixabay)